Page 77 - EMF von Stromtechnologien
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 EMF von Stromtechnologien
Ein indischer Review (Kokate et al., 2016) kam zum qualitativ gleichen Schluss wie SCENIHR oder
ARIMMORA, allerdings überzeugt die Arbeit methodisch nicht, da es sich in wesentlichen Teilen „nur“ um qualitative Experteneinschätzungen handelt. Interessanter ist die synoptische Analyse von Leitgeb (2015b). Er interpretiert alle publizierten Studien unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Qualität und Aussagekraft, um ein Gesamtbild der Risikoschätzer zu erhalten. Dieser Ansatz ist aus Untersuchun- gen des sog. „publication bias“ bekannt, wo mit auch von Leitgeb eingesetzten “funnel plots” mögliche Publikationsverzerrungen studiert werden. Leitgeb zeigt, dass es mit zunehmender Samplegrösse der Studie einen klaren Trend hin zum Nullrisiko gibt. Weil grosse Studien in aller Regel zuverlässiger sind, ist für Leitgeb klar, dass es keinen Zusammenhang zwischen kindlicher Leukämie und Magnet- feldexposition gibt.
Die Expertengruppe der SSM (SSM, 2016) kommt bei der Diskussion dieser Studie zu einem anderen Schluss und steht Leitgeb’s Arbeit kritisch gegenüber (p. 45):
„Leitgeb’s approach is, however, flawed. First, it is not clear which risk estimates were considered. It seems that original study results and pooled as well as meta-analysed estimates were mixed, produc- ing multiple counting of study results. In addition, if authors presented results referring to different ex- posure metrics, all risk estimates were included in the paper. Second, the assumption that risk esti- mates based on a high number of cases are most reliable is not necessarily true. Detailed exposure assessment may not be feasible in large studies, which may produce non-differential exposure mis- classification biasing risk estimates to null (in case of an association). Third and most relevant, Leitgeb did not consider the level of exposure. Obviously, high ELF-MF exposure scenarios are rare and thus risk estimates for highly exposed children groups are based on few cases only. In contrast, risk esti- mates based on several hundreds of cases can only refer to low exposure groups. Thus, absence of risks for low exposure groups is not informative for the risk of children exposed above 0.3/0.4 μT. In summary, the chosen approach mixes study results in an inappropriate manner and is not suitable to draw any conclusions on the association between childhood leukaemia and ELF-MF exposure.”
Als nächstes sollen wichtige Einzelstudien zur Sprache kommen: Die dannzumal grösste zu Kinder- leukämie und Hochspannungsleitungen erschien 2005 (Draper et al., 2005). Die Studie errechnete ei- nen Risikofaktor von 1.7 für Kinder, die näher als 200 m von einer Hochspannungsleitung leben. Be- merkenswert war dabei, dass in der Zone 200–600 m, in der die Magnetfeldstärken kaum erhöht sind gegenüber der Hintergrundstrahlung, ebenfalls eine signifikante Risikoerhöhung beobachtet wurde (RR = 1.23). Eine Erklärung dafür haben die Autoren nicht. Sie glauben, dass das nicht auf Magnet- feldexposition zurückgeführt werden kann und vermuten einen anderen auslösenden Faktor im Zu- sammenhang mit dem Betrieb von Hochspannungsleitungen (p. 1294).
“There was also a slightly increased risk for those living 200-600 m from the lines at birth (relative risk 1.2, P for trend < 0.01); as this is further than can readily be explained by magnetic fields it may be due to other aetiological factors associated with power lines”.
Eine Neuauswertung durch die Gruppe (Kroll et al., 2010), die Eingang in die Meta-Analyse von (Kheifets, Ahlbom, Crespi, Draper, et al., 2010) fand, bestätigte die Originalbefunde. Für die Konfirma- tion wurden für die Expositionsschätzung statt Distanzen Simulationen der Netzbelastungen verwen- det und so magnetische Flussdichten für die Wohnadressen der Studienteilnehmer berechnet. Die Au- toren warnen aber wiederum aufgrund der vergleichsweise wenigen Fälle vor Überinterpretationen.
Eine erneute Analyse mit erweitertem Datensatz (bis 2008) wurde 2014 vorgelegt (Bunch et al., 2014). Darin zeigte sich eine deutliche Abnahme der Risikoschätzer über die Zeit (1962–2008), wenn man die 4 Dezennien miteinander vergleicht. Die Autoren kommen deshalb zum Schluss (p. 1402):
“A risk declining over time is unlikely to arise from any physical effect of the powerlines and is more likely to be the result of changing population characteristics among those living near powerlines”.
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