Page 81 - EMF von Stromtechnologien
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 EMF von Stromtechnologien
weiterhin unklar; siehe dazu auch: Adam et al. (2008).
Hinsichtlich Kontaktströme: Anfang der 2000er Jahre wurde von Kavet und Kollegen die Hypothese vorgebracht, dass Kontaktströme (insbesondere Kriechströme auf leitfähigen Wasserrohren; siehe 2.2.5) das Leukämierisiko im Umfeld von Hochspannungsleitungen erklären könnten.
Ist ein Haus durch Kriechstrom auf Wasserrohren belastet, so ist der elektrische Strom, der über ein badendes Kind, das eine Wasserarmatur berührt, fliesst zwar über alles gesehen klein, kann aber im Knochenmark des Unterarms eine Stärke erreichen, die biologische Prozesse beeinflussen kann. Das könnte die bislang ungelöste Beobachtung erklären, warum das Leukämierisiko von Kindern im Um- feld von HSL erhöht ist. Kontaktströme sind prinzipiell eine plausible Erklärung füreine (indirekte) Wir- kung, denn: (i) sie können im Unterschied zu den durch die Magnetfelder induzierten elektrischen Feldstärken im Körper, eine Stärke annehmen, die biologisch relevant ist. (ii) Messungen zeigten, dass die in Haushalten anzutreffenden Berührungsspannungen an Wasserleitungen in der Nähe von HSL grösser sind als andernorts: Kavet et al. haben in mehreren Messstudien einen signifikanten Zu- sammenhang zwischen Magnetfeldern und Kontaktströmen (Spannungen) in Häusern festgestellt (Ka- vet et al. (2000), (Kavet and Zaffanella (2002), (Kavet et al. (2004), (Kavet (2005), (Kavet et al., 2011). Dieser Zusammenhang ist allerdings wenig robust. Bei Does et al. (2011) ist er schwach ausgeprägt, Lilien et al. (2009) fanden gar keinen Bezug und Kavet et al. (2011) betonen in ihrer neuesten Publika- tion, dass die grosse Mehrzahl der Kontaktströme in Haushalten konduktiv (und nicht induktiv über HSL) verursacht ist. Manche dieser Studien sind klein und haben nur beschränkte Aussagekraft. Da- her sind weitere Arbeiten zum Thema nötig, damit die Frage abschliessend beurteilt werden kann.
Chan et al. (2013) und Chan et al. (2015) erhalten bei ihren Simulationen mit hochauflösenden und nach Gewebearten differenzierten Körpermodellen bei einem Kontaktstrom von 0.5 mA (das liegt am oberen Rand der von Kavet und Kollegen bezifferten Kontaktströme badender Kinder) interne elektri- sche Feldstärken von mehreren V/m für Muskel- und Fettgewebe, sowie 0.5-1 V/m für Nervengewebe. Die Werte für Kinder liegen dabei etwa um das doppelte höher als diejenigen für Erwachsene und sie übersteigen die ICNIRP Basisgrenzwerte teilweise massiv. Simulationen von Tarao et al. (2013) zei- gen geringere Werte. Ein Kontaktstrom von 0.5 mA bewirkt danach körperinterne elektrische Feldstär- ken, je nach Gewebeart und Lokalisierung, im Bereich von einigen Zehntel V/m wobei Spitzenwerte um 1 V/m auftreten können. Im Unterschied zu den Kontaktströmen induziert ein externes, 10 μT star- kes 50 Hz-Magnetfeld ein tausend bis mehrere tausend Mal schwächeres elektrisches Feld im Kno- chenmark. Einschränkend gilt es festzuhalten, dass die Variabilität unter den dosimetrischen Simulati- onen noch recht gross ist und die Daten deshalb mit der gebührenden Vorsicht zu betrachten sind.
Gemäss WHO (2007) muss ein elektrisches Feld im Knochenmark mindestens 10 mV/m betragen, um biologisch bedeutsam zu sein, gemäss NIEHS (1999) genügt 1 mV/m. Die durch Körperströme er- zeugten Feldstärken liegen damit grob gesehen im Bereich der biologischen Wirksamkeit, die durch externe Magnetfelder induzierten körperinternen elektrischen Feldstärken hingegen nicht.
Leukämie entsteht im blutbildenden System (Knochenmark), indem die normale Entwicklung von Blut- zellen im noch nicht ausgereiften Stadium entartet und es so zu einer unkontrollierten Vermehrung der Zellen kommt. Neben den Stammzellen besteht das blutbildende System noch aus Binde- und Stütz- gewebe (sog. Stroma). Stammzellen sind sehr klein. Selbst Feldstärken von 1 V/m können die Memb- ranspannung nicht wesentlich beeinflussen (McLeod, 1992). Anders sieht es bei den bis hundert Mal grösseren Zellen des Stroma aus. Ein Feld von 0.1 V/m kann hier Membranspannungen von 0.1-1 mV aufbauen (Kavet et al., 2008), (Dawson et al., 2001). Chiu and Stuchly (2005) berechneten eine ähn- liche Grössenordnung: eine interne Feldstärke um 1 V/m kann Transmembranpotenziale bis einige mV erzeugen.
Wie bereits gesagt reicht nach NIEHS (1999) 1 mV für eine biologische Wirkung. Im Vergleich zum
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