Page 80 - EMF von Stromtechnologien
P. 80
EMF von Stromtechnologien
Kinder innerhalb von 50 m von irgendeiner Freileitung und ein nicht-signifikant erhöhtes Risiko (relati-
ves Risiko: 1.34; 95% KI: 0.50 bis 3.59) bei Höchstspannungsleitungen (>200 kV).
Amoon et al. (2022) führten eine gepoolte Analyse der vier neuesten epidemiologischen Studien zu Kinderleukämie und Magnetfeldexposition durch. Diese Studien aus Dänemark (Pedersen et al., 2015), Italien (Salvan et al., 2015), Kalifornien (Kheifets et al., 2015) und Grossbritannien (Bunch et al., 2016) waren nicht Bestandteil von früheren gepoolten Analysen, welche Hinweise auf ein erhöhtes Kinderleukämierisiko fanden (Kheifets, Ahlbom, Crespi, Draper, et al., 2010). Es wurden individuelle Daten von 24’994 Kinder mit Leukämie und 30’769 Kontrollkinder eingeschlossen. Im Gegensatz zu früheren gepoolten Analysen wurde hier kein erhöhtes Leukämierisiko bei Kindern beobachtet und es wurde auch ein Rückgang des Risikos im Laufe der Zeit verzeichnet. Die Autoren meinen, der Befund könnte auf methodische Probleme, Zufall oder auf einen tatsächlichen Rückgang des Effekts zurück- zuführen sein. Es ist jedoch zu beachten, dass das Ergebnis dieser Analyse hauptsächlich von der bri- tischen Studie bestimmt wurde, welche deutlich mehr als die Hälfte der Daten beigesteuert hat. Beide Resultate wurden auch in den britischen Daten alleine gefunden (Swanson et al., 2019).
Eine Reihe von weiteren neuen Studien hat das Kinderkrebsrisiko evaluiert, wenn die Eltern im Beruf hohen Magnetfeldern ausgesetzt waren. In einer gepoolten Analyse von 11 Fall-Kontroll-Studien mit 9’723 Kinderleukämiefällen und 17’099 Kontrollkinder wurde sowohl für mütterliche wie auch väterli- che berufliche Exposition kein Zusammenhang beobachtet (Talibov et al., 2019).
4.3.1.4 Hypothesen zu Störgrössen
Zu möglichen intervenierenden Variablen wurden in den Jahren bis 2017 einige Studien veröffentlicht. Eine Variable ist der sozioökonomische Status (SES), eine andere Kontaktströme, eine Dritte die Io- nen aus der Koronaentladung.
Hinsichtlich SES: Es wurde beobachtet, dass das Leukämierisiko bei Familien mit höherem sozioöko- nomischem Status grösser ist. Eine Erklärung für diesen Befund könnten Infektionen sein. Zwei ver- schiedene Argumente sind vorgebracht worden. Zum einen vermutete man (Kinlen, 1997) schon vor 20 Jahren, dass Eltern mit höherem SES mehr und verschiedenartigere soziale Kontakte aufweisen als Eltern mit tieferem SES. Mehr Sozialkontakte bedeuten höheres Infektionsrisiko, dem dann auch die Kinder zu Hause ausgesetzt sind. Greaves (2006) postuliert, dass die frühe Kindheit (erste zwei Lebensjahre) für die Entwicklung des Immunsystems zentral ist und in Familien mit höherem SES die Kleinkinder wegen grösserer Sorgfalt bei der Hygiene „besser“ gegenüber Keimen geschützt werden als in Familien mit tieferem SES. Dies aber schwächt die Immunabwehr, so dass das Risiko für Leukä- mie im späteren Kindesalter bei Familien mit höherem SES grösser ist (unbestritten bleiben die Vor- teile von Hygienemassnahmen zur Minderung anderer gesundheitlicher Risiken). Die zwei Erklärun- gen schliessen sich gegenseitig nicht aus.
In zwei Studien (Keegan et al., 2012), (Kroll et al., 2011) wurde der Zusammenhang zwischen SES und Kinderleukämie bestätigt. Eine systematische Übersichtsarbeit kommt dagegen zum Schluss, dass die Resultate heterogen sind und falls es einen Zusammenhang gibt, dieser schwach ausgeprägt sei und sich auf die 10-20% am meisten sozial benachteiligten Gruppen bezieht (Adam, Rebholz, et al, 2008) In der Studie von Bunch et al. (2014) wird die Beobachtung, dass der Zusammenhang zwi- schen Leukämierisiko und Magnetfeldexposition während der letzten 40 Jahre abgenommen hat, mit der SES-Hypothese erklärt: die Autoren vermuten, dass die wohlhabenderen Familien überproportio- nal häufig aus Wohngebieten in der Nähe von Hochspannungsleitungen weggezogen sind, was die Anzahl Leukämiefälle im Umfeld dieser Anlagen tendenziell senkt. Allerdings sind damit die erhöhten Werte in den Ausgangsjahren nicht erklärt. Es ist auch nicht plausibel, dass SES einen solch starken konfundierenden Einfluss haben kann, da der Zusammenhang zwischen SES und Kinderleukämie als nicht erwiesen gilt. Es wird hingegen vermutet, dass methodische Problem bei der Auswahl der Kon- trollen, die Ergebnisse beeinflusst haben könnten (Kheifets et al., 2005). Die Gesamtsachlage scheint
80/204
C:\Users\jeberhar\Dropbox\2022 BFE Literaturmonitoring\Schlussbericht\20230228 _FAMES_FSM_Schlussbericht.docx