Page 145 - EMF von Stromtechnologien
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EMF von Stromtechnologien
Studie zeigte, dass Umgebungen mit Hochspannungsleitungen negativere Gefühle auslösen als Um-
gebungen ohne Hochspannungsleitungen und dass dies vor allem dann der Fall ist, wenn es sich um stark positiv behaftete Umgebungen wie Naturlandschaften oder ländliche Umgebungen (z.B. Naher- holungsgebiete) handelt (Lienert et al., 2017a). Bei urbanen Umgebungen (z.B. Industriegebiete) und semi-urbanen Umgebungen (z.B. semi-urbane Wohngebiete) hat die Präsenz von Hochspannungslei- tungen eine deutlich weniger grosse negative emotionale Wirkung. Im Rahmen eines partizipatori- schen Ansatzes kann entsprechend bei der Standortwahl und der Gestaltung der Netzinfrastruktur nach Möglichkeiten gesucht werden, die in Einklang mit der emotionalen Bindung an den Wohnort ste- hen – oder diese gar verstärken. Um diesen Prozess noch weiter zu optimieren und der emotionalen Bindung der lokalen Bevölkerung an den Wohnort Rechnung tragen zu können, bedarf es noch weite- rer Forschung dazu, welche Aspekte die emotionale Bindung an den Ort umfasst und durch welche Faktoren sie beeinflusst wird.
Neben der lokalen Bindung sollte zudem ein erweiterter Fokus auf nationale und globale Empfindun- gen der Verbundenheit gelegt werden, da dieser in der bisherigen Forschung fast vollständig ausge- klammert wird (Batel, 2018; Devine-Wright & Batel, 2017). Die Studie von Devine-Wright & Batel 2017 (Devine-Wright & Batel, 2017) legt nahe, dass die Stärke einer lokalen, nationalen oder globalen Bin- dung zwischen Individuen variiert und je nach Zugehörigkeit die Akzeptanz von Energieinfrastrukturen und damit zusammenhängender Faktoren variieren kann. Eine vertiefende Analyse der Gemeinsam- keiten und Unterschiede hinsichtlich Wahrnehmung, Einstellung und Verhalten würde ein noch diffe- renzierteres Verständnis von Akzeptanz und Ablehnung auf Individualebene ermöglichen.
5.3.2 Analyse der Bedenken bezüglich Gesundheitsrisiken
Obwohl es keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür gibt, dass EMF von Stromleitungen gesund- heitsschädigend sind, werden Stromleitungen von der Bevölkerung als Gesundheitsrisiko wahrgenom- men. Dies ist auch in der Schweiz der Fall (Schreier et al., 2006a). Wie eine frühere Studie zu wahrge- nommenen Gesundheitsrisiken von EMF zeigte, werden diese vor allem mit Krebs und Geburtsfehlern in Verbindung gebracht und korrektive Massnahmen (z.B. in Form weiterer Forschung, Abschirmun- gen, Warnhinweise, etc.) finden breite Unterstützung (MacGregor et al., 1994). Auch Elektrohypersen- sitivität, also die Wahrnehmung von Symptomen, die vermeintlich durch elektromagnetische Felder ausgelöst werden, stellt ein interessantes Phänomen in Zusammenhang mit Gesundheitsrisiken dar (Bellayer, 2021; Dieudonne, 2016, 2019; Marell et al., 2016).
(Szemerszky et al., 2016) haben eine Studie durchgeführt, in welcher nur Scheinexpositionen zum Einsatz kamen. Sie interpretierten die Resultate so, dass die Attribution von Symptomen keine (rein) emotionale, sondern eine rationale Begleiterscheinung von Technikwahrnehmung sein kann. In der neuesten Publikation zum Thema (Porsius et al., 2017) wurde untersucht, zu welchen Zeitpunkten im Prozess eines HSL-Projektes Anwohner Gesundheitsrisiken wie wahrnehmen. Die Autoren unter- schieden 5 Gruppen. Die grösste waren mit 49% Personen, deren Risikowahrnehmung kaum oder nur schwach auf den Bau „reagierte“. Bei 9% fiel die Reaktion stark aus.
Ausgehend von der Tatsache, dass wahrgenommene Risiken für die Akzeptanz von Technologien entscheidender sind als tatsächliche Risiken und dass Gesundheitsbedenken der Hauptantriebsfaktor für den Widerstand gegen Stromleitungen sind, erscheint es sinnvoll, der Untersuchung der wahrge- nommenen Gesundheitsrisiken in zukünftiger Forschung mehr Beachtung zu schenken. Einsichten darüber, mit welchen gesundheitlichen Einschränkungen die Bevölkerung Stromleitungen verbindet, ob diesbezüglich die Prävalenz in gewissen Gruppen als besonders hoch wahrgenommen wird und welche Prozesse zugrunde liegen, liefern wichtige Hinweise für die Optimierung der Informationsver- mittlung und Kommunikation. Diese optimierte Kommunikation kann wiederum zur Minimierung der Gesundheitsbedenken und entsprechend zur Erhöhung der Akzeptanz von Stromleitungen beitragen.
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