Page 110 - EMF von Stromtechnologien
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EMF von Stromtechnologien
Mäusen fest, dass eine 50 Hz NF-MF-Exposition bei 1 mT für 3.5 Stunden täglich während 12 Tage
zu einer verstärkten Neubildung von Neuronen in der subventrikulären Zone des Hirnes führte (Mastrodonato et al., 2018). Diese Zunahme von Neubildung von Neuronen wurde über den Wnt/β- catenin-Signalweg vermittelt und führte dazu, dass die Mäuse ein verbessertes Erinnerungsvermögen für Gerüche zeigten. Eine Verbesserung der Neuronen-Neubildung und des Wiedererlangens der kog- nitiven Leistungsfähigkeit wurde auch in einem Rattenmodell für Hirnschläge (ischämische Schlagan- fall) beobachtet, wenn diese mit einem 50 Hz NF-MF bei 1 mT Feldstärke für täglich 2 Stunden wäh- rend 28 Tagen behandelt wurden (Gao et al., 2021).
In einer neueren Zellstudie haben Benassi et al. (Benassi et al., 2016b) ein in vitro-Modell für Parkin- son (Parkinson’s disease, PD) eingesetzt, um den Einfluss eines 50 Hz NFMF (1 mT, 6-72 Stunden) auf die Ausbildung des Krankheitsbildes zu untersuchen. Dazu wurden menschliche Neuroblastom- Zellen mit dem Neurotoxin MPP+ behandelt, dass im Tiermodel Parkinson auslöst, bedingt durch das Absterben von Neuronen durch oxidativen Stress. In der Tat verstärkte die NF-MF-Exposition den oxi- dativen Stress und das Absterben der MPP+-behandelten Zellen, was auf eine fördernde Wirkung des NF-MF auf die Progression der Erkrankung hindeuten könnte. Später hat die gleiche Forschungs- gruppe in diesem Zellmodel für PD gezeigt, dass die 50 Hz NF-MF-Exposition bei 1 mT keine globalen epigenetischen Veränderungen der Erbsubstanz (DNS-Methylierung) verursacht (Benassi et al., 2019), die typisch für Zellen von Parkinson-Erkrankter sind (Consales, Merla, et al., 2018). Lokale Ver- änderungen der epigenetischen DNS-Methylierung sowie eine Reduktion der Expression einer ande- ren epigenetischen Komponente, den sogenannten MikroRNAs (miRNA), durch eine 50 Hz NF-MF- Exposition wurde im gleichen Neuroblastoma-Zellmodel von derselben Forschungsgruppe publiziert, zusammen mit einer Serie von mechanistischen Daten (Consales, Cirotti, et al., 2018). Die Zellen wur- den jeweils für 4-72 Stunden bei 1 mT Feldstärke exponiert, wobei teilweise die Neuroblastom-Zellen vorgängig behandelt wurden, was zu dopaminerge Neuronen-ähnlichen Eigenschaften führt, und zur Bestätigung der Befunde auch primäre Mausneuronen eingesetzt wurden. Zudem wurde gezeigt, dass die NF-MF-bedingte Reduktion der Expression bestimmter miRNAs, zu erhöhter ROS-Produktion und einer oxidativen Stresssituation in den dopaminergen Zellen beiträgt und zu einem Anstieg der Menge des Proteins α-Synuklein führt. α-Synuklein ist ein lösliches Protein, dass in Nervenzellen an der Aus- schüttung von Dopamin beteiligt ist, und typischerweise bei Parkinson fehlgefaltet wird und aggregiert. Laut Autoren könnte dies eine Erklärung für das Auslösen von Parkinson durch NF-MF liefern.
Abschliessend sollen hier noch zwei weitere Studien kurz erwähnt werden. Consales et al. (Consales et al., 2019) führten auch Untersuchungen zu ALS an einem genetisch-modifizierten Neuroblastoma- Modell durch, dass sich durch erhöhte ROS-Level auszeichnet. Die 50 Hz NF-MF-Exposition für bis zu 72 Stunden (1 mT) zeigte in diesem ALS-Modell keine Auswirkungen auf die Vitalität der Zellen noch wurde erhöhter oxidativer Stress verursacht. Einzig die Aktivität einiger Gene, die an der Regulierung von Eisen beteiligt sind, wurde beeinflusst. Ohtani et al. (Ohtani et al., 2019) haben Mäuse einem star- ken 85 kHz IF-EMF (25.3 mT) täglich für eine Stunde während 10 Tagen ausgesetzt und danach ge- nomweite Genexpression im Hirn und in der Leber analysiert, um Hinweise auf veränderte Zellfunktion zu finden. Konsistente transkriptionelle Veränderungen durch die Exposition könnten aber nicht identi- fiziert werden.
4.3.3.6 Bewertung
Inzwischen liegt eine ganze Reihe von Studien über mögliche Zusammenhänge zwischen neurodege- nerativen Erkrankungen und niederfrequenten Magnetfeldexpositionen vor. Die meisten Arbeiten be- schäftigen sich mit beruflicher Exposition; erst wenige Studien haben auch alltägliche Magnetfeldbe- lastungen, v.a. im Zusammenhang mit Hochspannungsleitungen, untersucht. Die methodischen Unsi- cherheiten bei der Expositionserfassung sind gross und es ist unklar, ob sie systematischer oder diffe- rentieller Natur sind, sodass man nicht beurteilen kann in welche Richtung die berechneten Risiko-
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